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»Wir müssen in Zukunft häufiger gewohnte Pfade verlassen«

Ein Interview mit Helmut Dedy,
Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages und Mitglied im DSGV-Gesamtvorstand.

Helmut Dedy

Das Gelingen der nachhaltigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft entscheidet sich lokal, in der Stadt. Gleichzeitig stehen die Kommunen von allen Seiten unter enormen Druck: Sei es durch die Corona-Nachwirkungen, Energiekrise oder den Onlinehandel.

Wir brauchen ein neues Stadtverständnis und neue Konzepte – auch in Bezug auf eine regenerative Energieversorgung vor Ort. Wie das als Gemeinschaftsleistung, auch mithilfe der Sparkassen, umgesetzt werden kann, erklärt Helmut Dedy im Interview.

Herr Dedy, Energiekrise, Ukraine-Krieg, Inflation, Verkehrswende plus nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft: Wie blicken die Städte angesichts dieser vielen Herausforderungen in die Zukunft?

Mit Realismus, aber vor allem mit Zuversicht. Denn das erwarten die Menschen von uns vor Ort – dass wir die vielen Herausforderungen, die vor uns liegen, angehen und Lösungen finden. Pragmatisch, aber auch mit Weitblick. In der Kommunalpolitik treibt uns der Wunsch, etwas zu gestalten, zu verändern, besser zu machen. Dafür braucht es diese Zuversicht. Ohne Zuversicht machen wir uns nicht ans Gestalten. Und dafür müssen wir in Zukunft immer häufiger auch mal die gewohnten Pfade verlassen. Die Hauptversammlung des Deutschen Städtetages vor einigen Wochen stand unter dem Motto »Gemeinsam neue Wege wagen«. Wir haben neue Wege beim Wohnungsbau diskutiert, neue Wege bei Klimaschutz und Nachhaltigkeit, bei der Digitalisierung und gegen den Fachkräftemangel. Dieser Austausch der Städte untereinander zeigt mir immer wieder: Wir haben vor Ort den Willen und das Know-how, die vielen Transformationsprozesse erfolgreich zu meistern. Kommunalpolitik hat allen Grund, selbstbewusst zu sein.

Die Städte sind bei der nachhaltigen Transformation wichtige Akteure vor Ort. Was benötigen sie, um die damit verbundenen vielfältigen Aufgaben zu stemmen?

Ich könnte jetzt sagen: Geld. Und ja: Wir brauchen bei all den Mammutaufgaben hin zu Nachhaltigkeit und Klimaneutralität auch eine deutlich bessere Finanzkraft der Städte. Das reicht aber nicht, wir brauchen noch etwas anderes: Beinfreiheit. Brauchen wir einen gesetzlichen Rahmen von Bund und Ländern? Klar. Aber Transformation geht nur vor Ort, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern. Dafür sind wir die Experten. Ich bin davon überzeugt, dass wir bei der nachhaltigen Transformation in Deutschland nur erfolgreich sein werden, wenn wir den Gedanken der Subsidiarität, also der größtmöglichen Selbstbestimmung, neu beleben.

Heute ist es doch oft so: Bund und Länder definieren Aufgaben, die Städte führen sie aus. Das ist kein Zukunftsmodell. Wir brauchen zwar hier und da einen gesetzlichen Rahmen, wir brauchen aber auch lokale Spielräume, um die Transformation passgenau zu gestalten. Dafür müssen sich Bund und Länder ehrlich machen: Wer kann die Verkehrspolitik und damit die Verkehrswende vor Ort gestalten? Das sind die Städte. Und wer baut die lokale Energieversorgung klimaneutral aus und um? Das sind auch wir – gemeinsam mit unseren Stadtwerken. Bund und Länder sollten sich viel häufiger mit den Kommunen an einen Tisch setzen, unsere Erfahrungen, unsere Ideen, unsere Zukunftspläne aufgreifen und dann in praxistaugliche Gesetze gießen. Das würde die Transformation vor Ort schneller und besser machen.

Die immer noch spürbaren Auswirkungen der Corona-Pandemie, Onlinehandel und auch sinkende Kaufkraft machen den Geschäften in den Innenstädten zu schaffen. Es gibt immer mehr Leerstand. Wie begegnen die Städte dieser Problematik?

Die Probleme während der Corona-Pandemie und auch die jüngsten Filialschließungen von Galeria Karstadt Kaufhof haben einen Prozess beschleunigt, der ohnehin stattfindet: den Umbau der Innenstädte. Viele Städte haben sich längst auf den Weg gemacht, wir fangen da nicht bei null an. Wo es Leerstand gibt, braucht es neue Ideen. Es gibt viele davon: einen Universitätsstandort oder eine Schule in der Innenstadt, Flächen für Start-ups, Co-Working-Labs, Künstlerateliers oder auch der Bürgerservice der Stadt mitten im Zentrum, Mehrgenerationenhäuser oder Wohngebäude. Wenn wir uns anschauen, dass unter 30-Jährige zum Shoppen praktisch nicht mehr in die Innenstadt gehen, dann brauchen wir neue Perspektiven. Die Innenstadt der Zukunft ist eine, die nicht nur vom Einkaufen, sondern von mehr Aufenthaltsqualität geprägt sein wird. Deshalb ist das Wichtigste: eine Idee. Eine Idee dafür, was ich als Stadt und Gesellschaft eigentlich tun will mit diesen unheimlich attraktiven Flächen. Die Kernfrage sollte sein: Wo fühlen wir uns wohl? Und in der Regel fühlen wir uns da wohl, wo auch andere Menschen sind, wo Leben ist. Wir müssen also einen Raum schaffen, über den die Menschen sagen: Hier möchte ich gerne sein. Saubere und einladende öffentliche Räume, mehr Grün und Wasser in der Stadt sind dafür zentral. Die Menschen wünschen sich Orte zum Austausch und zum Verweilen.

Welche Rolle spielen die Sparkassen bei der Belebung der Innenstädte?

Städte, Handel, Immobilienwirtschaft und die Zivilgesellschaft können gemeinsam neue tragfähige Konzepte für die Innenstädte auf den Weg bringen. Das braucht Ideen, Planung, Ausdauer, aber auch die nötigen finanziellen Mittel. Die Menschen in den Städten und ihre Bedürfnisse gehören in den Mittelpunkt. Klar ist aber auch: Innovative Innenstadtkonzepte bringen auch wirtschaftliche Transformationsprozesse mit sich – und nicht zuletzt auch Bau- und Infrastrukturmaßnahmen. Das erfordert oft eine enge Zusammenarbeit von Stadt, Wirtschaft und Finanzdienstleistern. Da können die Sparkassen vor Ort eine wichtige Rolle spielen. Und nicht zuletzt sind die Sparkassen ja auch selbst Teil der Innenstädte. Attraktive Filialen mit guten Services und Beratung können immer noch eine wichtige Anlaufstelle für viele Menschen sein – trotz Onlinebanking. Sparkassenfilialen als »lokale Marktplätze« für Vorsorge und Finanzen: Auch das kann ein wichtiger Ankerpunkt in vielen Stadtteilzentren sein.

»Förderprogramme für Klimaneutralität sind gut, dauerhafte und verlässliche Finanzierung ist besser.«

Kommen wir zum Thema Energiesicherheit: Den letzten Winter haben wir trotz Gaskrise besser überstanden als befürchtet – auch wegen der relativ milden Temperaturen. Wie schätzen Sie die Lage für den kommenden Winter ein?

Die milden Temperaturen waren das eine. Wir wären aber trotzdem in einer ganz anderen Situation gewesen, wenn die Städte gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern nicht so aktiv mitgetan hätten. Auf der Website des Deutschen Städtetages findet sich eine Sammlung mit mehr als 50 ganz konkreten, innovativen Ansätzen und Projekten zum Energiesparen aus unseren Mitgliedsstädten – und selbst diese Liste ist mit Sicherheit nicht vollständig. Wir haben uns bei dem Thema schnell auf den Weg gemacht. Wir haben geschaut, was wir vor Ort tun können und brauchen, um die Energieversorgung zu sichern. Und das haben wir dann auch umgesetzt – oft zusammen mit unseren kommunalen Energieversorgern. Von diesem Know-how werden wir auch in Zukunft profitieren. Darüber hinaus hängt die Energiesicherheit im kommenden Winter von so vielen Faktoren ab – da will ich keinen Blick in die Glaskugel wagen. Klar ist aber doch: Der Umbau hin zu einer Energieversorgung ohne fossile Rohstoffe ist nicht nur für den Klimaschutz zentral, sondern macht uns auch krisenfester bei einer Mangellage wie im letzten Winter.

Für den Klimaschutz ist der lokale Ausbau von erneuerbaren Energien essenziell. Was brauchen die Städte, um klimaneutrale Strom- und Wärmegewinnung voranzutreiben? Wie kann das finanziert werden?

Wie das finanziert werden kann – darauf gibt es eine einfache und gleichzeitig komplizierte Antwort: anders als heute. Nach EU-Berechnungen braucht es 10.000 Euro pro Einwohner an Investitionen, um eine Stadt klimaneutral zu machen. 20 % davon müssten die Städte selbst aufbringen. Für Großstädte kommen da Beträge in Milliardenhöhe für die nächsten zehn Jahre zusammen. Das wird selbst für finanziell solide aufgestellte deutsche Städte allein nicht zu schaffen sein. Noch in den 1970er-Jahren hatten die Städte etwa 30 % ihres Haushalts frei für Investitionen. Inzwischen liegt der Anteil der Investitionen am kommunalen Gesamthaushalt seit Jahrzehnten im Schnitt bei ungefähr 10 %. Das wird nicht reichen, um Klimaneutralität und andere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Wie wir das ändern können? Da gibt es nicht die eine Stellschraube. Aber lassen Sie mich vielleicht einen Aspekt nennen: Förderprogramme sind gut, dauerhafte und verlässliche Finanzierung ist besser. Aktuell gibt es gerade im Bereich Klimaschutz eine Vielzahl von Förderprogrammen für Kommunen, die aber oft mit Ende einer Wahlperiode auslaufen. Und auch die Antragstellung ist meist ein Riesenaufwand. Deshalb lautet unser Appell an Bund und Länder: Gebt uns die Mittel für die Transformation unserer Städte – unbürokratisch und flexibel, am besten über Umsatzsteueranteile der Städte und Gemeinden. Der Anteil der Städte am Steueraufkommen muss erhöht werden. Wir brauchen mehr verlässliche Steuereinnahmen, um langfristig und dauerhaft investieren zu können. Und wenn schon Förderprogramme, dann bitte so, dass man sie tatsächlich umsetzen kann. Ohne dicke Pakete mit Antragsunterlagen, die nur noch ausgewiesene Experten ausfüllen können.

Wo sehen Sie die Rolle der Sparkassen und ihrer Verbundpartner bei der Bewältigung der gegenwärtigen Herausforderungen und der tiefgreifenden Transformationsprozesse?

Der Gründungsauftrag, die Tradition der Sparkassen war immer auch sozialpolitisch. Dieser Auftrag hat auch heute und in Zukunft eine besondere Bedeutung, wenn es um die Transformation von Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft geht. Die Transformationsprozesse, die vor uns liegen, sind unumgänglich. Sie sorgen bei vielen Menschen aber auch für Verunsicherung. Die Aufgabe der Städte und der Kommunalpolitik ist es, unsere Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, für Akzeptanz und Veränderungsbereitschaft zu sorgen. Kurz: Wir müssen den Menschen Sicherheit geben. Auch finanzielle Sicherheit. Da kommen die Sparkassen und ihre Verbundpartner ins Spiel – wenn sie etwa energieeffizientes Bauen und Wohnen fördern oder die Landesbanken neue Verkehrs- und Infrastrukturkonzepte in den Städten begleiten.

Helmut Dedy
»Wir haben vor Ort den Willen und das Know-how, die vielen Transformationsprozesse erfolgreich zu meistern.«
Helmut Dedy
Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages und Mitglied im DSGV-Gesamtvorstand